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Die «rote Moser». Ein politisches Lebensbild im Spiegel historischer Quellen

3. Dezember 2024, 18.30 Uhr, Vortragssaal Museum zu Allerheiligen Schaffhausen
Kommentierte Lesung von Mandy Ranneberg, Moser Familienmuseum Charlottenfels, aus Anlass des 150. Geburtstages von Mentona Moser (1874–1971)

Ihr Leben währte fast 100 Jahre und war prall gefüllt mit Leidenschaft und Tatendrang. In einer Zeit, in der neue Konzepte des gesellschaftlichen Zusammenlebens entwickelt und eingefordert wurden, begann die Tochter aus gutem Hause ihr Wirken in den Dienst Jener zu stellen, die nicht mit dem goldenen Löffel im Mund geboren wurden. Als in Moskau dann der Rote Stern zu leuchten begann, wandte sie sich der Idee der klassenlosen Gesellschaft zu und widmete sich fortan ihrer Verwirklichung.

Zu Beginn der kommentierten Lesung stand die junge Frau im Mittelpunkt, die sich im sozialen Bereich zu engagieren begann. Ab Mitte der 1890er und bis hinein ins Jahr 1903 hielt sich Moser mehrfach in England auf. In den Slums verschaffte sie sich Einblick in das Leben des «Lumpenproletariats» und erlebte auf den Strassen die Proteste der Suffragetten. Ausserdem nutzte sie die innovativen Angebote für junge Damen aus gutem Hause und absolvierte Ausbildungen im Bereich der Armen- und Krankenpflege.

Mit dem Ziel, die modernen sozialreformerischen Ansätze in der Heimat fruchtbar zu machen, kehrte sie nach Zürich zurück und begann zu Gunsten sozial Benachteiligter und körperlich Beeinträchtigter zahlreiche Projekte einzufordern und umzusetzen. Die Verschlechterung der Lebensbedingungen der arbeitenden Bevölkerung, die Folgen des Ersten Weltkrieges und die Gründung des ersten kommunistischen Staates liessen Moser zunehmend an der Wirksamkeit ihres Engagements im Rahmen der bürgerlichen Wohlfahrtspflege zweifeln und beförderten ihre Politisierung.

Mosers Eintritt in die Sozialdemokratische und später in die Kommunistische Partei der Schweiz bildete die Überleitung zum zweiten Abschnitt. Im Mittelpunkt stand ihre bewusste Zuwendung zum Modell der «klassenlosen Gesellschaft», das in der jungen Sowjetunion propagiert wurde. Dieses Modell machte die bürgerliche Wohlfahrtspflege überflüssig, da es Gleichberechtigung auf allen Ebenen des Zusammenlebens verhiess. Daher war die von Moser geleistete Sozialarbeit fortan von ihrem eingeschlagenen politisch-weltanschaulichen Kurs nicht mehr zu trennen.

Zu diesen Engagement gehörte Mosers langjährige Tätigkeit für die Rote Hilfe. Zu den bekanntesten Projekten zählt das internationale Detskij Dom (Kinderhaus), dessen Gründung sie 1926 initiierte und das sie in Kooperation mit den sowjetischen Behörden und ihrem Landsmann Fritz Platten auf einem enteigneten Landgut nahe Moskau realisierte. Das Heim bot Kindern inhaftierter, ermordeter oder verfolgter Kommunisten und Kommunistinnen aus aller Welt ein sicheres Zuhause und wurde Ausbildungsstätte für den politischen Nachwuchs.

Im letzten Abschnitt der kommentierten Lesung gaben ausgewählte Beispiele aus ihrem Berlin-Aufenthalt in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren Einblick in die direkte Parteiarbeit der Genossin Moser. Dazu zählte ihre Beteiligung an Agitations- und Propagandamassnahmen, die Unterstützung bei der Ausbildung der «Berufsrevolutionäre» und der Verwirklichung strategisch wichtiger Projekte der Kommunistischen Partei Deutschlands sowie die Finanzierung von «Agitprop»-Material – darunter die Einspielung von Arbeiterkampfliedern.

Abschliessend wurde auf Mosers Leben in der Deutschen Demokratischen Republik DDR eingegangen, das mit ihrem Umzug nach Ostberlin im Jahre 1950 begann. Hier traf sie ihre Berliner Kampfgenossen wieder und wurde Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Im Januar 1953 schrieb die Ende Siebzigjährige: «Noch nie lebte ich unter Umständen, Umgebung, kurz einer Atmosphäre, die so vollkommen allem entsprach, was ich mir nur wünschen konnte».

Als Mentona Moser im Jahre 1971 mit 96 Jahren starb, bestatteten sie die Genossen im Ehrenhain des «Sozialistenfriedhofes» im Ostberliner Stadtteil Friedrichsfelde unweit der Grabstätten von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg und des Präsidenten der DDR Wilhelm Pieck – ihrem einstigen Kampfgenossen aus Berliner Tagen.